Laufmaus – Handgriffelement zur Haltungsverbesserung
04.10.2021
Die Höhle der Patente
In Staffel 10, Folge 1, der TV-Show „Die Höhle der Löwen" präsentiert ein Sportmediziner ein Produkt speziell für Läufer, das den Oberkörper aufrichtet und in eine optimierte Körperhaltung bringt: die Laufmaus.
Das für die Laufmaus erteilte Patent kann exemplarisch für ein Grundlagenpatent mit relativ breitem Schutzbereich angesehen werden. Im Falle von Wettbewerbern kann ein breiter Schutzbereich die Monopolstellung sicherstellen.
Im Folgenden wird erläutert, wieso der Schutzbereich im Prüfungsverfahren nicht eingeschränkt werden musste und wie eine passende Strategie zum Aufbau eines Patentportfolios für das Produkt hätte aussehen können. Denn der Wert eines Unternehmens wächst mit dem Patentportfolio, das somit einen hohen Stellenwert in jedem Unternehmen einnehmen sollte.
Das Produkt: Die Laufmaus.
Worum geht es?
Die Laufmaus besteht aus einem Kunststoffformteil, das in der Handinnenseite getragen werden kann. Zur Fixierung sind eine Zeigefingerschlaufe sowie eine Handgelenksschlaufe vorgesehen. Um die Leichtbauform und die Schweißabfuhr zu unterstützen, hat die Laufmaus eine Vielzahl von Löchern an der für die Handinnenfläche vorgesehenen Seite. Die Laufmaus ist so geformt, dass sich der Ballen und die Finger der Hand an die Form anschmiegen.
Die Patentanmeldung
(Az.: 10 2017 112 923.5)
Ursprünglich wurde versucht, das Produkt Laufmaus als ein Handgriffelement in einer Deutschen Patentanmeldung zu schützen. Anspruch 1, welcher grundsätzlich den Schutzbereich für das Produkt bestimmt, definiert (siehe nachstehendes Bild der Fig. 1 und 2; die Zahlen in Klammern dienen zur Veranschaulichung):
Handgriffelement (1) mit einem langgestreckten Handgriffkörper (2) mit einem ersten Endbereich (3) und einem dazu in Längsrichtung des Handgriffkörpers (2) im Abstand angeordneten zweiten Endbereich (4), wobei der Handgriffkörper (2) eine dem zweiten Endbereich (4) benachbarte erste Formfläche (5) mit einem gekrümmten Teilbereich zur Abstützung eines Teilbereichs des Handballens der menschlichen Hand besitzt und eine zur ersten Formfläche (5) benachbarte und nach außen gekrümmte zweite Formfläche (7) zur Abstützung eines Teilbereichs der Handinnenfläche (8) aufweist und eine zur ersten Formfläche (5) benachbarte und nach innen gekrümmte dritte Formfläche (9) zur Abstützung des weitgehend gestreckten Daumens (17) aufweist und eine der dritten Formfläche (9) weitgehend gegenüber liegende und nach außen gekrümmte vierte Formfläche (14) zur Abstützung des Mittelfingers (11) besitzt, benachbart zu der eine nach außen gekrümmte fünfte Formfläche (16) zur Abstützung des Ringfingers (12) vorgesehen ist und der Handgriffkörper (2) eine zur Abstützung des Zeigefingers (18) vorgesehene sechste Formfläche (10) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass sich die sechste Formfläche (10) von einem vom zweiten Endbereich (4) des Handgriffkörpers (2) beabstandeten Teilbereich (23) der zweiten Formfläche (7) ausgehend in Richtung zum ersten Endbereich (3) erstreckt und weitgehend in Längsrichtung des Handgriffkörpers (2) verläuft.
Prüfungsverfahren
Im Prüfungsverfahren vor dem DPMA zitiert der Prüfer das Dokument D1 (EP 2 168 641 B1) und D2 (US 8,092,411 B2) als Stand der Technikfür Anspruch 1, welcher maßgeblich für die Definition des Schutzbereichs von Patenten ist.
D1 offenbart, wie in der nachfolgend links gezeigten Fig. 1 aus D1 zu erkennen ist, einen Stockgriff 1 für einen Stock (nicht gezeigt). Insbesondere soll dieser Stock für das Wandern verwendet werden (siehe Anspruch 1 in D1).
D2 offenbart, wie ebenfalls in der nachfolgend rechts gezeigten Fig. 6 aus D2 zu erkennen ist, eine Handorthese 10'. Die Hand umgreift die Handorthese 10' und wird dann in dieser Greifstellung bandagiert.
Der Prüfer stellt im Prüfungsverfahren fest, dass sich die Erfindung durch den oben unterstrichenen Teil des Anspruchs 1 von dem Stand der Technik abhebt. Allerdings erkennt der Prüfer die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber D1 und D2 nicht sofort an.
Weiter erhebt der Prüfer im Prüfungsverfahren den Einwand der Klarheit der Ansprüche und stellt fest, dass sich die Bezugszeichen (8), (11), (12), (17) und (18) nicht auf den Erfindungsgegenstand (Handgriffelement), sondern auf Teile der menschlichen Hand beziehen. Laut Prüfer sei fraglich, ob der Anspruch dadurch ausreichend klar ist.
Info: Klarheit ist eine der Voraussetzungen, um eine Patenerteilung in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt zu erreichen. Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt ist fehlende Klarheit zwar kein Zurückweisungsgrund, aber dieser Einwand wird trotzdem häufig von deutschen Prüfern erhoben. Der Grund dafür ist meist, dass Ansprüche zur Sicherung eines möglichst breiten Schutzumfangs tendenziell knapp und abstrakt gefasst sind. Letztlich lassen sich jedoch sowohl in deutschen als auch europäischen Prüfungsverfahren fast immer geeignete Klarstellungen finden, die nicht unnötig einschränkend sind.
Infolge der beiden oben genannten Einwände, hat sich der Anmelder dazu entschieden, Anspruch 1 lediglich durch Streichen dieser als unklar bezeichneten Bezugszeichen zu ändern. Die nicht zu dem Produkt gehörenden menschlichen Teile (Finger, Handballen, etc.) sind also nicht Teil des angepassten Anspruchs.
Info: Bezugszeichen haben in den Ansprüchen keine einschränkende, sondern lediglich eine erläuternde Bedeutung. Somit wurde der Schutzbereich durch die erfolgte Änderung tatsächlich nicht geändert.
Gegenüber dem Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch „eine zur Abstützung des Zeigefingers (18) vorgesehene sechste Formfläche (10)", die „weitgehend in Längsrichtung des Handgriffkörpers (2) verläuft". Die so erzielte Ausrichtung des Zeigefingers relativ zum Daumen hat die technische Wirkung, die Körperhaltung beim Laufen/Stehen aufzurichten und zu stabilisieren. Im Gegensatz dazu beschreibt D1 (vgl. Fig. 1 in D1) als auch D2 (vgl. Fig. 6 in D2) eine Oppositionsstellung von Daumen und Zeigefinger. Somit wird in D1 und D2 jeweils eine andere technische Wirkung erzielt als es vorliegend der Fall ist.
Basierend auf dem geänderten Anspruch 1 und dieser Argumentation wurde in der Folge ein Patent (DE 10 2017 112 923 B3) erteilt.
Patentportfolio
Eine ursprüngliche Erfindungsidee wird durch ein Grundlagenpatent geschützt. Basierend darauf wird zumeist ein Produkt weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklungen können als neue, von der ursprünglichen abhängige Erfindungsideen bezeichnet werden.
Solche Weiterentwicklungen sind oft auch eigenständig patentfähig und sollten daher im Interesse des Anmelders durch weitere Patente geschützt werden. Versäumt man dies, kann der Fall eintreten, dass beim Bekanntwerden des ursprünglichen Erfindungsgedankens, Dritte (Wettbewerber, zum Beispiel aus dem Ausland) selbst auf die Idee kommen, das Produkt weiterzuentwickeln und für diese Weiterentwicklungen ein Patent erteilt bekommen (abhängiges Patent).
Im schlimmsten Fall können dann die Weiterentwicklungen von dem eigentlichen Erfinder bzw. dem Inhaber des Grundlagenpatents nicht mehr auf den Markt gebracht werden, da ein Wettbewerber hierfür eigene Schutzrechte erlangt hat.
Somit müsste der Inhaber des Grundlagenpatents eine Lizenz von diesem Wettbewerber erwerben, um das weiterentwickelte Produkt vermarkten zu können. Dasselbe gilt allerdings auch in die andere Richtung, nämlich dass er die weiterentwickelten Produkte des Wettbewerbers mit seinem Grundlagenpatent vom Markteintritt abhalten kann.
Die auf dem Markt erhältliche Laufmaus hat sich seit dem Einreichen der Patentanmeldung wesensentscheidend weiterentwickelt. Ein übliches Vorgehen in so einem Fall ist die Einreichung sogenannter abhängiger Patente, um das eigene Patentportfolio zu erweitern.
Info: Ein abhängiges Patent fällt in den Schutzumfang des zeitlich älteren Patents und spezifiziert weitere wichtige Merkmale z.B. eines Produkts. Abhängige Patente entstehen, wenn eine Grundidee ständig weiterentwickelt wird. Für weitere Ideen, die auf der Grundidee aufsetzen, können somit weitere Patente erteilt werden, obwohl die Grundidee an sich bereits geschützt ist.
Vergleicht man das in der TV-Show präsentierte und erhältliche Produkt der Laufmaus mit der Patentanmeldung, so fällt auf, dass einige Wesensmerkmale erkennbar vorhanden, aber nicht in der Patentanmeldung spezifiziert sind. So zum Beispiel:
• Durchgangslöcher zumindest auf der zweiten Fläche (7);
• Voronoi-Struktur der Durchgangslöcher;
• Unregelmäßig angeordnete Durchgangslöcher;
• (Halb-)schalenform des Handgriffelements (1);
• Fingerschlaufe für Zeigefinger mit Klettverschluss; oder
• einstückig hergestelltes Handgriffelement (1).
Empfehlung für ein
erweitertes Patentportfolio
Entscheidend bei der Verfolgung von Patentanmeldungen ist die zugrundeliegende Strategie. Grundlage dafür sollten immer die geschäftlichen Interessen des Anmelders sein, insbesondere, welche Märkte (regional, überregional etc.) angesprochen werden sollen.
Info: Für jeden Anmelder gilt es abzuwägen, welche Märkte in Zukunft (> 5 - 10 Jahre) für das jeweilige Produkt von Interesse sind und diese Märkte durch Patentanmeldungen zu sichern.
Da die oben angeführten Beispiele von Weiterentwicklungen bereits öffentlich bekannt sind, ist eine nun nachgelagerte, weitere Patentanmeldung, gerichtet auf diese Weiterentwicklungen, nicht mehr möglich – allerdings auch nicht für Wettbewerber. Die Beispiele sollen dabei lediglich verdeutlichen, wie eine erweiterte Patentportfolio-Strategie aussehen könnte.
Damit der Fall von abhängigen Patenten der Wettbewerber vermieden wird, sollte das Patentportfolio stetig ausgebaut werden und versucht werden für die erforderlichen und vorteilhaften Weiterentwicklungen ein Patent erteilt zu bekommen. Nur so kann der Inhaber des Grundlagenpatents Wettbewerber vom Markteintritt bzw. Marktausbau abhalten und seinen zeitlichen Vorsprung bei der Entwicklung auch für die Zukunft vorteilhaft sichern.
Fazit
Der Erfolg eines Produkts liegt somit auch in der Entwicklung eines starken Patentportfolios, wenn potenziell zukünftige Wettbewerber vom Markt verdrängt werden sollen.
Bei der Gestaltung eines Patentportfolios sollten Weiterentwicklungen, noch bevor sie der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden, ebenfalls patentiert werden, um neben der Grundidee auch die technischen Weiterentwicklungen zu schützen und eine Abhängigkeit von Patenten der Wettbewerber zu verhindern.
Am Beispiel der Laufmaus wurden einige Merkmale aufgezeigt, mit denen die Erlangung eines breiteren Patentportfolios möglich gewesen wäre. Im Nachhinein sind nun keine auf diese Merkmale gerichtete Patentanmeldungen mehr möglich, da diese bereits öffentlich bekannt sind. Folglich scheint es, dass für die Laufmaus nicht das komplette Potential an Schutzmöglichkeiten ausgeschöpft wurde.
An dieser Stelle sei noch bemerkt, dass Patentanmeldungen erst nach 18 Monaten veröffentlicht werden und zum Zeitpunkt des Schreibens des vorliegenden Textes keine weiteren Patentanmeldungen in Bezug auf die Laufmaus der Öffentlichkeit bekannt waren.
Disclaimer: Der vorstehende Beitrag spiegelt die persönliche Auffassung des Autors wider. Die im Beitrag vorgenommen Einschätzungen und Ausführungen stellen keine Rechtsberatung dar und werden unter Ausschluss jeglicher Haftung zur Verfügung gestellt. Wenn Sie eine patentrechtliche Prüfung Ihres Einzelfalls benötigen, so wenden Sie sich gerne an den Autor und/oder die Kanzlei KUHNEN & WACKER.
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