Scewo BRO – Der neue Elektrorollstuhl
01.02.2022
Die Höhle der Patente
In Staffel 10, Folge 6, der TV-Show „Die Höhle der Löwen" präsentiert ein Unternehmen aus Winterthur einen selbstfahrenden, höhenverstellbaren und treppenüberwindenden Rollstuhl namens Scewo BRO.
Beeindruckend ist, dass das Team um den Scewo Bro das höchste Investment aufruft, das je in der Sendung aufgerufen wurde. Nicht umsonst zählt der Scewo Bro zu den Gewinnern des reddot Design Awards 2019 und des German Design Award Gold 2021.
Die zwei wesentlichen Funktionen des Scewo BRO sind eine höhenverstellbare Sitzfläche und ein Kettenantrieb zum Treppensteigen. Hierfür wurden zwei Patentanmeldungen unabhängig voneinander eingereicht. Der Scewo BRO ist ein gutes Beispiel dafür, warum es sinnvoll ist, für ein- und dasselbe Produkt mehrere Patentanmeldungen einzureichen.
Die Patentanmeldungen
WO 2019/048445 A1 (WO'1)
In der WO'1 wird ein erster Teilaspekt des Scewo BRO beschrieben (siehe nachfolgende Figur aus WO'1). Hierbei wird beansprucht, dass das Fahrzeug (1) abhängig vom Betrieb (Ebene oder Treppe) mittels Rädern (2) oder Ketten (9) angetrieben wird.
Der Betrieb wird gewechselt, wenn eine Treppenstufe (8) erkannt wird. Der Wechselmechanismus zwischen den Betrieben (Ebene oder Treppe) scheint den ersten Teilaspekt des Scewo BRO auszumachen.Das Hundehalsband 10 aus D1 zeigt somit alle Merkmale M1 bis M4 aus Anspruch 1 der EP'521. Der ursprüngliche Anspruch 1 der EP'521 ist somit nicht neu gegenüber D1.
WO 2020/020880 A1 (WO'2)
In der WO'2 wird ein zweiter Teilaspekt des Scewo BRO beschrieben (siehe nachfolgende Figur aus WO'2). Im Speziellen wird darin ein selbstbalancierendes Fahrzeug beansprucht, das einen Verstellmechanismus (7) zum linearen Verschieben einer Sitzfläche (6) entlang der Längsachse und der Hochachse des Fahrzeugs verwendet. Der Verstellmechanismus (7) scheint für den zweiten Teilaspekt des Scewo BRO entscheidend zu sein.
Es lässt sich daraus mutmaßen, dass zum einen der Betriebswechsel zwischen geradem Untergrund und Treppe (WO'1) und zum anderen der Verstellmechanismus (WO'2) die Grundlage für die Entscheidung zum Einreichen einer jeweiligen Patentanmeldung bildeten.
Selber Rollstuhl –
Mehrere Patentanmeldungen
Es wurden nicht zwei verschiedene Rollstühle entwickelt, sondern ein Rollstuhl mit zwei voneinander unabhängigen Wirkmechanismen. So bilden beide oben genannten Teilaspekte unabhängig voneinander Einzelerfindungen, die nicht in direkter Beziehung zueinanderstehen.
Dabei hat der erste Teilaspekt den Vorteil, unterschiedliches Gelände selbständig befahren zu können, wobei der zweite Teilaspekt den Vorteil hat, den Rollstuhl besser an eine aktuelle Situation anzupassen.
Info: Im Deutschen als auch im Europäischem Patentrecht darf eine Patentanmeldung nur eine einzige Erfindung enthalten oder eine Gruppe von Erfindungen, die untereinander in der Weise verbunden sind, dass sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen (vgl. Art. 82 EPÜ). Eine allgemeine erfinderische Idee zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich vom Stand der Technik unterscheidet.
Das heißt, der Wechselmechanismus und der Verstellmechanismus bilden jeweils eine eigenständige erfinderische Idee aus, und sind damit uneinheitlich. Diese Ideen sind zwangsläufig in unterschiedlichen Patentanmeldungen zu verfolgen.
Anmerkung: Sollte es einen Mechanismus geben, der beide Teilaspekte kombiniert, könnte hierauf eine weitere Patentanmeldung gerichtet werden, da dieser neue Mechanismus durch die Verbindung beider Mechanismen eine allgemeine erfinderische Idee bildet.
Verbesserte Schutzrechtsstellung
Vorliegend handelt es sich bei der WO'2 um eine Weiterentwicklung des Rollstuhls, wie er auch in der WO'1 offenbart ist. Mit solchen Weiterentwicklungen kann peu à peu eine verbesserte Schutzrechtsstellung für den Aufbau und die Funktionalität des Rollstuhls entwickelt werden. So können Wettbewerber davon abgehalten werden, ähnliche Konstruktionen oder Funktionalitäten in ihre Produkte zu integrieren. Dem Wettbewerber bliebe dann nur noch einer der für ihn unliebsamen Auswege, zum Beispiel:
- Lizensieren des Patents bzw. der Patente der Scewo AG,
- (falls möglich) Entwickeln einer Umgehungslösung, oder
- Anbieten eines weniger innovativen Rollstuhls mit voraussichtlich schlechteren Absatzzahlen.
Fazit
Es zeigt sich, dass erfolgreiche Unternehmen mit einer Basis an gewerblichen Schutzrechten beginnen und diese stetig zu einem umfangreichen Portfolio ausbauen, mit dem sie ihre Produktpallette wirkungsvoll gegen Nachahmer und Trittbrettfahrer schützen können. Hierbei sollten die wichtigsten technischen Weiterentwicklungen, Produktneuheiten oder, im Falle des Scewo Bro, Funktionalitäten zum Patent angemeldet werden.
Die Scewo AG hat bereits frühzeitig damit begonnen, Patente strategisch anzumelden, um sich einen Markt zu sichern und im Wettbewerb behaupten zu können. Die für eine durchdachte Patentstrategie notwendigen hohen Anfangsinvestitionen zahlen sich jedoch langfristig aus. Denn hierdurch wird eine exponierte Marktstellung erlangt. Dieser entscheidende Wettbewerbsvorteil kann durch Wettbewerber oft nur schwierig aufgeholt werden. In den meisten Fällen wird dies mit hohen Kosten und einem verzögerten Markteintritt verbunden sein, zum Beispiel indem der Wettbewerber eine Lizenz nehmen muss, eine Umgehungslösung entwickelt oder ein vergleichbar minderwertiges Produkt anbietet.
Disclaimer: Der vorstehende Beitrag spiegelt die persönliche Auffassung des Autors wider. Die im Beitrag vorgenommen Einschätzungen und Ausführungen stellen keine Rechtsberatung dar und werden unter Ausschluss jeglicher Haftung zur Verfügung gestellt. Wenn Sie eine patentrechtliche Prüfung Ihres Einzelfalls benötigen, so wenden Sie sich gerne an den Autor und/oder die Kanzlei KUHNEN & WACKER.
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