Happybrush – Gut für die Zähne und die Umwelt
12.05.2022
Die Höhle der Patente
In Staffel 4, Folge 8, der TV-Show „Die Höhle der Löwen" präsentiert ein junges Startup aus München eine elektrische Zahnbürste. Die Happybrush ist eine Zahnbürste, die mit 30.000 Vibrationen pro Minute die Zähne beim Putzen sehr gründlich reinigen soll. Die Happybrush-Bürstenköpfe sind dabei genauso leicht auszutauschen wie bei einer herkömmlichen elektrischen Zahnbürste.
Für die Happybrush wurde eine Deutsche Patentanmeldung eingereicht, zu der, zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des vorliegenden Textes, lediglich ein Deutscher Recherchebericht erstellt wurde. Anhand der Happybrush soll die rückschauende Betrachtungsweise bei der Argumentation der erfinderischen Tätigkeit klargemacht werden.
Anmerkung: Für diese Anmeldung aus dem Jahre 2017 wurde hier bisher nur ein Recherchebericht erstellt, bei der der Anmelder von der Möglichkeit der aufgeschobenen Prüfung Gebrauch gemacht hat. Damit hat der Anmelder 7 Jahre Zeit, den Prüfungsantrag für diese Anmeldung zu stellen und gewinnt dadurch Zeit, um strategische Entscheidungen, z.B. in Bezug auf Produktweiterentwicklungen, die Konkurrenz und kommerzielle Verwertung, in die Schutzrechtsverfolgung mit einfließen zu lassen.
Die Deutsche Patentanmeldung –
DE102017207567A1 (DE'567)
Schutzgegenstand
Ursprünglich wurde versucht, die Happybrush mit einem auf eine Aufsteckbürste gerichteten unabhängigen Anspruch zu schützen (vgl. Bezugszeichen in Klammern aus Fig. 1 und 2 der DE'567).
Anspruch 1 der DE'567 definiert folgende Merkmale:
M1: Aufsteckbürste (1) für eine elektrische Zahnbürste, umfassend:
M2: einen länglichen Hals (2) an dessen einem Ende ein Bürstenkopf (3) mit mehreren Borstenbüscheln (4) angeordnet ist und dessen anderes Ende (5) zum Verbinden der Aufsteckbürste (1) mit einem Handteil einer elektrischen Zahnbürste ausgebildet ist,
M3: wobei der Hals (2) einen biegeelastischen Längsabschnitt (6) umfasst, dadurch gekennzeichnet, dass
M4: der biegeelastische Längsabschnitt (6) durch wenigstens zwei Stege (7) gebildet wird, welche einen ersten Teil (2a) und einen zweiten Teil (2b) des Halses (2) miteinander verbinden.
Figur 1 und 2 aus DE'567
Stand der Technik
Im Recherchebericht zitiert die Prüfungsstelle zwei Dokumente D1 (DE3805326A1) und D2 (US20130180063A1) als relevant für alle Ansprüche der DE'567. Insbesondere sieht die Prüfungsstelle den Anspruch 1 als nicht neu gegenüber D1 an.
Anspruch 1 – Mangelnde Neuheit gegenüber D1
(DE3805326A1)
D1 offenbart (vgl. Fig. 2 aus D1) eine Aufsteckbürste für einen vorzugsweise elektromechanischen Antrieb. Die Aufsteckbürste hat einen Bürstenschaft 1, der in einem Auslenkabschnitt 2 im Anschluss an den Bürstenkopf 3 jeweils über einen Teil seiner Länge ähnlich einer Blattfeder nach dem Knackfrosch-Prinzip derart mittels eines Auslenkprofils 4 ausgeformt ist, dass beim Zähneputzen bis zur Auslenkung des Bürstenkopfes 3 (Abknickstellung 5) ein optimaler Anpressdruck besteht (vgl. Absatz [0016] in D1).
Die Aufsteckbürste aus D1 erfüllt somit zumindest die Merkmale M1 bis M3 aus Anspruch 1 der DE'567.
Ferner wird in D1 das Auslenkprofil 4 in Bezug auf die Fig. 3 bis 5 aus D1 beschrieben. Fig. 3 bis 5 aus D1 zeigen folgende Auslenkprofile 4 im Querschnitt des Auslenkabschnitts 2:
Somit wird durch das in D1 beschriebene Auslenkprofil 4 auch das Merkmal M4 getroffen, da es ebenso eine Art biegeelastischen Längsabschnitt mit zwei Stegen offenbart, welche zwei Teile des Halses miteinander verbinden (siehe z.B. Profilstreifen 4a und 4b in Fig. 4 aus D1 oben).
Der ursprüngliche Anspruch 1 der DE'567 ist somit nicht neu gegenüber D1.
Figur 2 aus D1
Figuren 3 bis 5 aus D1
Effektive Abgrenzung gegenüber
dem Stand der Technik
Im Folgenden wird eine Möglichkeit vorgeschlagen, wie eine effektive Abgrenzung vom Stand der Technik unserer Meinung nach erreicht werden könnte.
So könnte Anspruch 1 zumindest dadurch von D1 abgegrenzt werden, dass der Hals als „hohl" spezifiziert wird (vgl. Absatz [0008] der DE'567). In D1 ist der Auslenkabschnitt 2 des Halses nicht hohl ausgebildet (vgl. Auslenkabschnitt 2 in Fig. 2 aus D1).
Anmerkung: Dieses Unterscheidungsmerkmal klingt platt selbstverständlich, vor allem wenn der nachfolgend beschriebene Stand der Technik D2 mitberücksichtigt wird. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist es allerdings sehr wichtig, eine solche rückschauende Betrachtungsweise (sogenannte Ex-post-facto-Analyse) zu vermeiden, die sich durch die Kenntnis der zu beurteilenden Erfindung (hier DE'567) ergibt.
Das Merkmal „hohler Hals" hat, gegenüber der Aufsteckbürste aus Fig. 2 in D1, den Vorteil, eine einfache und kostengünstige Herstellung biegeelastischer Aufsteckbürsten zu ermöglichen.
Ausgehend von D1, bzw. der Aufsteckbürste aus Fig. 2 in D1 als nächstliegender Stand der Technik, wäre eine Abänderung in Form einer hohlförmigen Ausgestaltung des Auslenkabschnitts 2, welcher den Kern der Erfindung in D1 darstellt, denkbar. Grundsätzlich würde ein Fachmann, der die erfinderische Tätigkeit zu bewerten hat, die Kernidee des nächstliegenden Stands der Technik nicht gänzlich verwerfen, um den oben genannten Vorteil zu erzielen.
Der Fachmann könnte dennoch D2 (US20130180063A1) heranziehen. D2 zielt darauf ab, einen elektrisch betriebenen Zahnbürstenkopf der Rundkopfart bereitzustellen (vgl. Absätze [0035] und [0036] aus D2, sowie Fig. 1 aus D2 wie unten abgebildet). Hierbei offenbart D2 eine Hülse 11, die einen flexiblen Bereich 19 hat, der es dem Teil der Hülse zwischen Borstenträger 13 und dem flexiblen Bereich 19 ermöglicht, sich bei Druck auf den Borstenträger 13 relativ zur Verbindung 12 zu bewegen.
Figur 1 aus D2
Hier würde sich der Fachmann die Frage der Kompatibilität von D1 und D2 stellen.
Zum einen könnte der Fachmann versuchen, zusätzliche Komponenten, wie sie in D2 offenbart sind, zu der Aufsteckbürste aus D1 hinzuzufügen, um diese zu verbessern – insbesondere im Sinne einer einfacheren und kostengünstigeren Herstellung (siehe oben beschriebenen Vorteil). Dieses Vorgehen würde zumindest nicht zur oben genannten Lösung führen, da sich hierdurch keine Veränderung am Auslenkabschnitt 2 aus Fig. 2 in D1 ergibt, welcher mit dem Hals der DE'567 assoziierbar ist.
Zum anderen könnte der Fachmann versuchen, Komponenten der Aufsteckbürste aus Fig. 2 in D1 im Sinne der Offenbarung aus Fig. 1 in D2 abzuändern. Dieses Vorgehen würde der Fachmann allerdings nicht auf die Kernidee des Auslenkabschnitts 2 aus Fig. 2 in D1 anwenden, da sonst die positiven Vorteile aus D1 selbst dahin wären.
Zumal dem Fachmann auch jedwede Anweisung, wo und wie die Auslenkprofile 4 aus D1 in der Hülse 11 aus D2 ausgebildet werden sollten, fehlen.
Selbst wenn der Fachmann den Auslenkabschnitt 2 aus Fig. 2 in D1 anpassen würde, dann hätte der Fachmann lediglich den Absatz [0039] aus D2 herangezogen, der den Fachmann lehrt, dass die Hülse 11 Öffnungen aufweist, die mit thermoplastischem Elastomermaterial 20 gefüllt sind. So würde der Fachmann lediglich die im Auslenkabschnitt 2 aus Fig. 2 in D1 auftretenden Öffnungen mit dem Elastomermaterial füllen. Dieses Vorgehen hätte aber nichts mit dem oben genannten Vorteil zu tun, wodurch dieses Vorgehen sehr unwahrscheinlich wäre.
Somit wäre der geänderte Anspruch 1 der DE'567 folglich nicht nur neu, sondern vermutlich auch erfinderisch gegenüber dem im Recherchebericht zitierten Stand der Technik.
Anmerkung: Die hier dargestellte Vorgehensweise ist lediglich eine von mehreren Möglichkeiten und beruht lediglich auf dem im Recherchebericht zitierten Stand der Technik. Aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ergeben sich noch weitere mögliche Abgrenzungsmerkmale gegenüber dem im Recherchebericht zitierten Stand der Technik, zum Beispiel in Bezug auf die Stege oder den Bürstenkopf.
Fazit
Es wurde gezeigt, wie mittels eines vermeintlich platt selbstverständlichen Merkmals eine effektive Abgrenzung des Anspruchs 1 vom zitierten Stand der Technik erreicht werden könnte. Speziell sollte gezeigt werden, dass durch an sich simpel anmutende Änderungen nicht nur Neuheit, sondern oftmals auch erfinderische Tätigkeit argumentiert werden kann. Sehr häufig zeigt sich, dass mit Hilfe einer winzigen Klarstellung im Anspruch, hier „hohler Hals", ein technischer Vorteil erzielt werden kann, der sich ausgehend von dem Stand der Technik ohne rückschauend tätig zu werden, nicht in derselben Art und Weise ergeben kann. Dieses Auffinden von minimal einschränkenden, aber dennoch ausreichend abgrenzenden Merkmalen ist eine der Kernkompetenzen von Patentanwälten.
Disclaimer: Der vorstehende Beitrag spiegelt die persönliche Auffassung des Autors wider. Die im Beitrag vorgenommen Einschätzungen und Ausführungen stellen keine Rechtsberatung dar und werden unter Ausschluss jeglicher Haftung zur Verfügung gestellt. Wenn Sie eine patentrechtliche Prüfung Ihres Einzelfalls benötigen, so wenden Sie sich gerne an den Autor und/oder die Kanzlei KUHNEN & WACKER.
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